„BETTELMARSCH“: VON DER KÖLNER DOM-BESETZUNG BIS ZUM WORTBRUCH

Ruždija Sejdović und Vera Tönsfeldt, für den Rom e.V.
 

Als die Landesregierung NRW am 12. Dezember 1989 beschließt, den Abschiebestopp von Rom:nja trotz des drohenden Krieges in Jugoslawien aufzuheben, formieren sich Widerstand und Solidarität innerhalb der Communitys. Am 6. Januar 1990 besetzen 400 Rom:nja den Kölner Dom und fordern Sichtbarkeit für ihre Notsituation. Eine große mediale Aufmerksamkeit bleibt wider Erwarten aus. Es ist der Beginn des „Bettelmarsches“.
Ziel der Demonstration, die als „Bettelmarsch“ bekannt wurde, war es, Bleiberecht für die damals in NRW lebenden Rom:nja zu erstreiten und auf ihre drohende Massenabschiebung aufmerksam zu machen.

Es folgen mehrere Aktionen: In direkter Konsequenz der Dombesetzung versammeln sich rund 1700 Rom:nja, um gegen ihre Abschiebung zu demonstrieren. Dem „Bettelmarsch“ schließen sich 800 Menschen an, darunter viele Kinder, um von Köln ins politische Zentrum der Landesregierung nach Düsseldorf zu ziehen. Wenige Tage später schreibt die taz von 3500 Rom:nja in ganz NRW, die nicht länger auf Übergangs- und Duldungslösungen hoffen wollen.

Zum ersten Mal geht es den Demonstrierenden mit dem „Bettelmarsch“ zum Ministerpräsidenten nicht um Übergangs- und Duldungslösungen nach dem Asylrecht. „Wir wollten das Bleiberecht – für alle, die bis zu dem Zeitpunkt da waren. Wir wollten eine Stichtagsregelung. Dazu Regelungen zur Familienzusammenführung. Das war’s schon“, erinnert sich Ruždija Russo Sejdović, der den „Bettelmarsch“ damals für den Rom e. V. koordinierend begleitet und bis heute politisch aktiv ist.

Für ihre Rechte nehmen die Demonstrierenden vieles auf sich. Im tiefsten Winter, bei Minustemperaturen und ohne entsprechende Kleidung, Schutz oder Ausrüstung, laufen einige von ihnen – schon vorher durch die Anstrengungen der Flucht und/oder der Unterbringung unter widrigen Umständen entkräftet – in Sandalen die „nur“ 40 Kilometer in drei Tagen. Die Kinder, die teilweise schwangeren Frauen und die Männer sind nach wenigen Tagen erkrankt. Eine Frau kollabiert in Dormagen. Es gehen Virusinfektionen um, viele stecken sich an. Aufgeben kommt aber nicht infrage. Das gemeinsame Ziel ist zu wichtig.

Am 11. Januar 1990 verhandeln Rudko Kawczynski, Gründer der Cinti Roma Union (CRU) und zeitgleich der Organisator des „Bettelmarsches“, sowie weitere Vertreter mit Innenminister Schnoor (SPD). Zusagen werden nicht gemacht. Weder wird der Abschiebestopp eingesetzt noch gibt es ein Bleiberecht. Ruždija Sejdović erinnert sich: „Wir konnten uns darauf verlassen, dass wir nicht gehen, bevor wir eine Antwort hatten, die uns entgegenkommt. So blieben wir eben, bis wir die richtige Antwort hatten.“
Gegen Ende Januar lenkt die Landesregierung dann doch ein Stück weit ein und ordnet eine Einzelfallprüfung der Asylanträge an. „Es ist ein Schritt in die richtige Richtung“, begegnet Kawczynski der Anweisung.

Am 1. Februar tritt der neue Erlass (Nr. IB5/44.42) in Kraft. Die flächendeckende Einzelfallprüfung ist allerdings nur eine Bitte und damit nicht verbindlich. Es gibt keine konkrete Arbeitsanweisung für die Mitarbeitenden in den zuständigen Ämtern, wie mit den Fällen zu verfahren ist. Die gestellten Anträge auf Aufenthaltserlaubnis werden in den meisten Fällen nicht bearbeitet. Es fehlt dann doch am politischen Willen. Für die Rom:nja und ihre Unterstützer:innen ist das ein Wortbruch.

Im Sommer 1990 versammeln sich deshalb wieder viele Rom:nja in einem Protestcamp unter der Kniebrücke in Düsseldorf. Sie kämpfen weiter für ihr Recht und ihre Zukunft – teilweise bis heute.

Der Beitrag ist in einer Sonderbeilage für die taz erschienen am 18.05.2022. Das PDF zur taz-Sonderbeilage kann <hier> heruntergeladen werden.