Stefanie Oster und Johann Henningsen, Mitarbeiter:innen des Dokumentations-
zentrums „Lichtenhagen im Gedächtnis“. Mehr Informationen unter: lichtenhagen-1992.de.
Mit dem obigen Satz kritisierte Mai-Phuong Kollath 2017 im Interview mit der taz die Erinnerung an das rassistische Pogrom in Rostock-Lichtenhagen. Kollath hatte selbst als Vertragsarbeiterin lange in Rostock gelebt. In den aktuellen Vorbereitungen zum 30. Jahrestag des Pogroms scheint die Forderung nach der Einbeziehung von Betroffenenperspektiven sowohl in der lokalen Zivilgesellschaft als auch in der Stadtverwaltung Gehör zu finden. Maßgeblich dazu beigetragen haben die jahrelange Arbeit und Kritik von Aktivist:innen und Forscher:innen wie Mai-Phuong Kollath, Kien Nghi Ha und Dan Thy Nguyen.
In der überwiegend weißen Erinnerungskultur kommen die von rassistischer Gewalt Betroffenen weiterhin oftmals nur als passive Opfer vor. Ihre alltäglichen Selbstbehauptungen, Widerstände und politischen Organisierungen werden selten miterzählt und so unsichtbar gemacht. Dabei trugen Geflüchtete und Migrant:innen Anfang der 1990er-Jahre in Mecklenburg-Vorpommern vielfältige Kämpfe aus. Nach mehreren Angriffen verließen zwei Wochen vor dem Pogrom in Lichtenhagen 140 Geflüchtete ihre Unterkunft in Hagenow und gingen in das westdeutsche Lauenburg. Dort machten sie mit einer Demonstration auf ihre Situation aufmerksam und forderten die Unterbringung im örtlichen Gemeindezentrum. In Güstrow, Greifswald, Neustrelitz und Gelbensande verteidigten sich Geflüchtete gegen die Angriffe von Neonazis. Auch die mehr als 120 im Sonnenblumenhaus eingeschlossenen Vietnames:innen entkamen der lebensbedrohlichen Situation nur, weil sie sich organisierten und sich schließlich über das Dach des brennenden Hauses selbst retteten. Nach dem Pogrom kämpften sie fünf Jahre gegen ihre drohende Abschiebung und für das Bleiberecht aller ehemaligen Vertragsarbeiter:innen.
Ihren dokumentarischen Niederschlag finden derartige migrantische Kämpfe häufig nur in einzelnen Zeitungsmeldungen oder Polizeiberichten. Umso wichtiger ist es, das Wissen von Zeitzeug:innen zu sichern und die archivarische Bewahrung der Spuren dieser oft vergessenen Kämpfe zu organisieren. Ohne sie ist eine angemessene Erinnerung an die rechte Gewalt Anfang der 1990er-Jahre und das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen nicht möglich.
Stefanie Oster und Johann Henningsen sind Mitarbeiter:innen des Dokumentationszentrums „Lichtenhagen im Gedächtnis“. Als Teil von Soziale Bildung e. V. wird das Dokumentationszentrum seit 2015 von der Stadt Rostock gefördert und arbeitet mit einem Archiv sowie Informations- und Vermittlungsangeboten zum Pogrom in Rostock-Lichtenhagen.
Der Beitrag ist in einer Sonderbeilage für die taz erschienen am 18.05.2022. Das PDF zur taz-Sonderbeilage kann <hier> heruntergeladen werden.