Biografie Annita Kalpaka

Leben in Deutschland seit inzwischen über 50 Jahre bedeutet viele Statuswechsel. Von (in heutiger Terminologie) „unbegleitete Minderjährige“ bis hin zu einer Person mit doppelter Staatsbürgerschaft waren viele Zwischenstationen und Hürden zu überwinden. Der Wechsel von einem befristeten Aufenthaltsstatus zu einem unsicheren, dem dann mit einem Stempel im Pass die Aufforderung zu einer Ausreise innerhalb von sechs Monaten folgte, machte mich überhaupt aufmerksam darauf, dass ab November 1973 ein „Anwerbestopp“ verhängt wurde, und dadurch keine Möglichkeit zur Verfügung stand, legal in Deutschland zu bleiben. Ein befristeter Aufenthalt zum Studieren sollte jedoch möglich sein. In kürzester Zeit mussten Voraussetzungen erfüllt werden, um mich an eine Uni bewerben zu können für was eigentlich…?? Was wollte ich überhaupt werden? Keine Zeit für solche Kontemplation, das Studienangebot gab die Richtung vor: Der engagierte Berater beim akademischen Auslandsamt meinte, „VWL/BWL gehen immer, da ist kein numerus clausus und die Note spielt nicht so eine Rolle“. Gekauft!

Die nächste Hürde hieß „Studienkolleg“. Meine Assoziationen zu dem Begriff Kolleg hatten nichts im Entferntesten zu tun mit der extrem infantilisierenden und rassistischen Einrichtung bei der ich landete. Die Flucht ergreifend vor einem Geschichtslehrer, einen Altnazi, der uns deutsche Geschichte beibringen sollte, konnte ich nach intensiver Paukerei die Prüfung zur Anerkennung der Hochschulreife als Externe ablegen und diese Einrichtung hinter mir lassen. Neben der Eintrittskarte zu einem Studium und damit auch zu einer Aufenthaltserlaubnis für die Dauer des Studiums habe ich in dieser Einrichtung einige Mitstreiter*innen gewonnen, mit denen ich zusammen mich viele Jahre gegen Rassismus und für Gleiche Rechte in der Einwanderungsgesellschaft einsetzte.

Nach Beendigung des Studiums stand wieder die „Ausreisepflicht“ an, mit entsprechendem Stempel im Pass. Rechtsmittel verzögerten den Ablauf bis kurz danach Griechenland 1981 Mitglied der damaligen EWG, heute EU, wurde.

Das Studium selbst war zweitrangig im Hinblick auf Bildungsprozesse. Vielmehr waren es die Aktivitäten drum herum und das kollektive Selbststudium, die zentral waren für meine späteren Tätigkeiten und das politische Engagement: Die Auseinandersetzungen und Kämpfe in migrantischen Selbstorganisationen, in Frauengruppen, die Anti-AKW- und Friedensbewegungen…

Es gab genug Gründe, an einer anderen Vorstellung von Welt zu arbeiten und sie weiterzuverfolgen. Zunächst aktivistisch, später in der Gemeinwesenarbeit, in der politischen Bildung und Theaterarbeit, ab und zu publizierend und nicht zuletzt als Hochschullehrerin. Diese Herangehensweisen und Handlungsfelder waren selten spannungsfrei und dennoch miteinander vereinbar.