In den 1990er Jahren entsteht aus unterschiedlichen Sozialen Bewegungen eine neue: Aktivist*innen schaffen eine bundesweit und transnational vernetzte Bewegung für die Rechte geflüchteter Menschen. Ausschlaggebende Momente sind die drastische Einschränkung des Grundrechts auf Asyl 1993, und die Folgen der Einführung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Gegen die Unterbringung in Lagern, die Einschränkung von Sozialleistungen, den Entzug von Bargeld-Auszahlungen, gegen „Eßpakete“, Arbeitsverbot, Residenzpflicht und Abschiebungen organisierten die Aktivist*innen quer durchs Land Kampagnen und Aktionen. Vor allem durch die Anti-Lager-Aktionen und die Kämpfe gegen die Residenzpflicht konnten sie bald die Schwelle der öffentlichen Aufmerksamkeit durchbrechen. Bis heute kämpft die Bewegung für das Recht auf Schutz und für das Recht zu bleiben und zu gehen.
In der neuen Bewegung der 1990er finden sich zusammen:
Aus dem Zusammenfließen dieser unterschiedlichen Ansätze und des vielfältigen Wissens erwächst die immense Kraft und Langlebigkeit der Bewegung. Diese Bewegung verhindert unzählige Abschiebungen und wirft mit einer Reihe kreativer Aktionen immer wieder das Licht der Öffentlichkeit auf die menschenfeindliche und tödliche Politik des selektiven Migrations- und Asylregimes. So zum Beispiel durch die Kampagne „Deportation Class“, die die Beteiligung der deutschen Airlines an Abschiebungen skandalisierte.
Foto Aktion Münchner Flughafen 1999
Erfolgreich ist sie aber auch, weil sich Refugee-Aktivist*innen immer wieder die eigene Hörbarkeit erkämpfen – auch gegenüber den eigenen Genoss*innen – und ihre Erfahrungen und Forderungen ins Zentrum stellen. Warum ist dieses Sprechen und Hörbar-Sein so ein großes Thema? Grenz- und Abschiebesystem in Verbindung mit strukturellen und alltäglichen gesellschaftlichen Rassismus verweisen geflüchtete Menschen auf einen eng eingegrenzten, vorbestimmten, isolierten Platz. Diesen Versuch der Zuweisung zu erkennen, ihn nicht zu akzeptieren und sich stattdessen geografisch und gesellschaftlich zu verbinden, ist damit Teil der Befreiung, wie José im Gespräch zeigt.
Und weil diese Bewegung auch Teil dieser Gesellschaft ist und bleibt, prägen diese Unterschiede und die Frage der Hörbarkeit gleichzeitig die zyklisch wiederkehrenden Herausforderungen und Konflikte. Bis heute bilden sich immer wieder Risse entlang der Fragen, wer welche Arbeit leistet und welche Entscheidungen trifft, wie die Vereinnahmung der Kämpfe von geflüchteten Menschen verhindert wird, wie das Verhältnis von gegenseitiger Unterstützung und politischen Kampagnen, die beispielsweise auf die Verbesserung der gesetzlichen Grundlagen abzielen, gestaltet wird. An diesen Fragen lernt und entwickelt sich die Bewegung. Und vielleicht zeigt sie einer ganzen Gesellschaft, wie das Zusammenleben und -arbeiten mit Unterschieden funktionieren könnte: Einfach ist es nicht, aber es lohnt sich.
Die Karawane München ist ein Teil und Abbild dieser Bewegung, mit all ihren Fragen und ihrer Suche, ihrer Stärke und ihren Herausforderungen. Sie wird 1998 in der Gründungswelle von Karawane-Gruppen von geflüchteten und weiß-deutschen Aktivist*innen gegründet. Die Gruppe arbeitet zu regionalen Themen wie Eßpaketen, verhindert Abschiebungen und führt gemeinsame Kampagnen als Teil der bundesweiten Karawane durch, von der sie sich jedoch später entfernt.
Die Aktivist*innen der ersten Stunde der Karawane München, José Langa und Nora Preem* (*Name geändert), berichten im Podcast davon.
Karawane München
bundesweite Karawane
The VOICE Refugee Forum Germany
kein mensch ist illegal kmii
Bewegungsschule