Interview mit Yasmin Dreessen

Erzähl uns ein bisschen was über dich? Wer bist du und wie kam es zu deinem Projekt? Was war der Anstoß für dich?

Erstmal würde ich sagen: Es ist nicht mein Podcast, sondern das gemeinsame Projekt von Mandy, Lina, Yvonne, Gavriil, Gamze, Semiya, Ayşe und Candan. Ich war vor allem Produktionshilfe.

Der Anstoß für den Podcast war ein Kennenlernen im Kontext der Arbeit zur Machtbarkeitsstudie zum bundesweiten NSU-Dokumentationszentrum. Professorin Sabine Hess aus der Göttinger Kulturanthropologie hat 2023 den Auftrag erhalten, das Expertise-Cluster zur Betroffenenperspektive zusammenzustellen. Das bedeutet: Durch intensive Interviews und Hintergrundrecherchen die Sichtweisen der Angehörigen der NSU-Opfer und der Betroffenen der Anschläge des NSU auf ein mögliches Dokumentationszentrum zusammenzutragen.

In dem Kontext stieß ich als Hilfskraft dazu. Das Thema ist für mich natürlich aber nicht beliebig – sowohl aus politischer Perspektive im Kontext aktueller rechter Formierungen und rassistischen Politiken, als auch aus der Perspektive meiner eigenen Wurzeln, als Enkelin einer s.g. türkischen Gastarbeiter:innenfamilie, war mir das Arbeiten mit den betroffenen Familien und das Teilen ihrer Perspektiven wichtig. Deswegen habe ich mich entschieden, gemeinsam mit ihnen das Podcast-Projekt zu starten.

Wie verlief deine Recherche und der Arbeitsprozess? Gab es besondere Herausforderungen? Welche Momente, Funde, Gespräche haben deinen Rechercheprozess in Bewegung gebracht?

Die Recherche waren vor allem Vortreffen mit allen Podcastteilnehmer:innen. Nachdem klar war, dass diese acht Leute gerne einen Podcast als erinnerungspolitisches Format machen wollen, haben wir uns intensiv darüber ausgetauscht, wie wir den Podcast nach ihren Vorstellungen gestalten könnten. Das heißt, wir haben darüber gesprochen, was sie erzählen wollen und wie der Podcast heißen soll. Dabei wurde schnell klar: Sie möchten alles erzählen – von den Vorgeschichten ihrer Väter/Söhne/Ehemänner/Brüder hin zu ihren aktuellen Kämpfen und materiellen Sorgen. Der sehr bezeichnende Titel des Podcasts „Das Schweigen ist vorbei!“ ist wörtlich und kämpferisch gemeint. Herausgekommen ist ein Archiv-Podcast mit umfangreichen Erzählungen.

Eine Herausforderung war im gesamten Prozess das Lernen: Wie macht man eigentlich einen Podcast? Außerdem musste vieles online stattfinden, da einige Leute zum Zeitpunkt der Aufnahmen in der Türkei waren und es bei anderen wiederum recht schnell gehen musste.

Gab es während des Arbeitsprozesses Geschichten, die dich besonders berührt haben?

Es macht wütend zu sehen und zu hören, wie wenig sich seit 2011 getan hat. Viele der Betroffenen und Angehörigen haben bis heute existenzielle Nöte aufgrund der jahrzehntelangen Stigmatisierung und fehlenden Entschädigung – sofern man davon überhaupt sprechen kann. Sie haben ihre Jobs verloren und sind schwer krank geworden. Einige treten an die Öffentlichkeit mit ihren Geschichten, anderen fehlt dafür vielleicht die Kraft. Sie fordern: Der deutsche Staat und deren Behörden, die involvierte V-Männer schützen, rassistische Ermittlungen vorangetrieben haben und bis heute über symbolische Gesten wenig hinauswachsen, sind ihnen umfassende materielle Unterstützung und Aufklärung schuldig.